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Dienstag, 20. Juni 2017

Warum niemand weis, wie viele Nigerianer es gibt

Viele, viele Nigerianer. Nur, wie viele?
Bislang konnte mit noch keinem Zensus eine zuverlässige Zahl ermittelt werden. Für www.Economist.com, 20. Juni 2017

Nigeria ist Afrikas bevölkerungsreichstes Land, ein Attribut, welches das Land mit Stolz trägt. Im Jahr 2015 hatte Nigeria laut Weltbank über 182 Millionen Einwohner und soll bis 2050 hinter Indien und China zum drittbevölkerungsreichsten Land der Welt aufsteigen. Diese Zahl und ihre Fortschreibung aber basiert auf dem nigerianischen Zensus von 2016, bei dem die Zahlen vermutlich zu hoch angesetzt wurden. In Nigeria werden Parlamentssitze und Gelder der Zentralregierung basierend auf der Bevölkerung der einzelnen Staaten vergeben, was den Politikern einen Anreiz gibt, die Zahlen zu übertreiben. Im Jahr 2013 sagte Festus Dimegwu, der Leiter der nationalen Bevölkerungskommission (NPC), dass weder der Zensus von 2006, noch einer davor gestimmt haben. Kurz danach trat er von seinem Amt zurück (die damalige Regierung meinte, sie hätte ihn entlassen).

Das Zählen der Nigerianer ist seit kolonialen Zeiten schon eine kontroverse Sache. Das Land wurde zusammengesetzt aus zwei britischen Kolonien: Dem überwiegend christlichen Süden und dem muslimisch dominierten Norden. Im Vorlauf der Unabhängigkeit ab 1960 wurde den Briten von jenen im Süden vorgeworfen, eine nördliche Mehrheit zu fabrizieren, von denen sie glaubten, dass sie bevorzugt würden. Die inoffiziellen Zensuszahlen von 1962 zeigen dann einen Anstieg der Bevölkerung in einigen Gebieten im Südosten von über 200% innerhalb nur eines Jahrzehnts. Die gesamten Zahlen wurden nie veröffentlihct und die Anführer aus dem Norden hielten eine Nachzählung ab, die ergab, dass sie noch immer die Mehrheit bildeten (ihre Region wuchs dabei anscheinend um 84% und nicht wie davor angenommen um 30%). Diese politische Erbsenzählerei führte schliesslich zu Putschen, zu versuchten Abspaltungen dessen was damals als die Ostregion bekannt war und einen Bürgerkrieg.

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Die Spaltung zwischen Norden und Süden ist noch immer allgegenwärtig; das ungeschriebenes Gesetz, wonach der Präsident abwechselnd aus dem Norden und dem Süden kommen sollte gilt noch immer. Die Vorwüfe, dass der Norden seine Mehrheit fabriziert bestehen nochimmer. Der Zensus von 1973 und jener von 1991 wurden annulliert. Der Streit von 2006 kam auf, als im nördlichen Bundesstaat Kano 9,4 Millionen Menschen gezählt wurden verglichen mit 9 Millionen in Lagos, dem Wirtschaftszentrum des Landes. Die Stadtregierung von Lagos führte dann ihren eigenen technisch illegalen Zensus durch und kam auf 17,5 Millionen (was vermutlich weit übertrieben ist). Ein neuer landesweiter Zensus wurde bislang regelmässig verschoben. Momentan ist er für 2018 angesetzt, allerdings schätzt die NPC, dass dafür 223 Milliarden Naira (etwa 800 Millionen Euro) "verbraten" werden müssten, weshalb er möglicherweise auf unbestimmte Zeit verschoben werden wird.

Selbst mit anderen Methoden hat es sich als schwer erwiesen, Nigerias Bevölkerung zahlenmässig zu erfassen. Africapolis, ein von Frankreich finanziertes Forschungsprojekt verwendete Satellitendaten, um 2010 die Bevölkerung in den Städten und Dörfern zu schätzen. Dabei fanden sie, das mehrere Städte, vor allem im Norden, hunderttausende Einwohner weniger hatten, als sie laut Zensus von 2006 hatten. Aber selbst diesen Zahlen kann man nicht restlos vertrauen: Später kam nämlich heraus, dass die Forscher die Verstädterung im dicht besiedelten Nigerdelta unterschätzten. Bis es einen genauen und neutralen Zensus geben wird ist es unmöglich zu sagen, wie viele Nigerianer es gibt. Das bedeutet, die Regierung wird bei ihrer Politik nicht voll den Realitäten im Land gerecht werden können und es wird auch nicht möglich sein, Ressorucen dahin zu verteilen, wo sie am dringendsten benötigt werden.



Eine Anmerkung: Im Kommentarbereich zum Artikel meint der nigerianische Journalist Bolarinwa Durojaiye, dass es in Nigeria etwa 150 Millionen registrierte Handynummern gibt, es allerdings normal ist, mehrere zu verwenden. Das Funknetz in Nigeria ist mittlerweile ebenfalls hervorragend ausgebaut und man kann sogar im hintersten Dorf problemlos telefonieren. Entsprechend könnte es sein, dass die nigerianische Bevölkerung nicht über 180 Millionen Köpfe ausmacht, sondern eher in die Richtung 120 Millionen geht.









Im Original: Why nobody knows how many Nigerians there are
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